nur eine betrachtung mag dazu taugen, das leiden der tiere zu erklären:
dass der wille zum leben, der der ganzen welt der erscheinungen zugrunde liegt,
in ihrem fall befriedigung erlangt, indem er sich selbst verzehrt.

.arthur schopenhauer



Drinnen! Ich bin drinnen. Im Zentrum des Bösen, im Herz der Finsternis! Ich habe meinen Koffer dabei, nur Sturmgepäck. Außen am Haus Videokameras. Die Tür ist verschlossen. Ein Summer tönt, ich trete ein, der Empfang, eine Dame mittleren Alters fragt Proband? Ihre Studiennummer bitte? und dann habe ich bereits meinen Ausweis am langen Band, der mir mit seinem Code nichts anderes öffnet als die Klotür. Wir warten in einem großen Raum, etwa 20 Männer und 5 Frauen. Wir schauen uns nicht an: jeder ist hier allein. wir warten.



.....es gab eine zeit, in der ich total abgebrannt war - im wahrsten sinne des wortes; etwa 1991 - 2000. Eine der wenigen möglichkeiten um geld zu verdienen, war, sich als proband für arzneimittel-erprobung zu verdingen. Ich habe damal an etwa 7-8 arzneimittelstudien teilgenommen. Um zutritt zu den gebäuden zu erlangen, in denen die jeweilige studie durchgeführt wurde, bekamen wir kleine plastifizierte karten angesteckt, auf denen unsere namen randomisiert waren und lediglich eine nummer anzeigten. einmal bekam ich die nummer 13. also "Proband 13".

Ich habe an studien der Charité in buch teilgenommen, die meisten studien aber bei der firma PXL im Klinikum Westend.
Manche versuche dauerten nur drei tage, manche ein, zwei wochen; der längste versuch ging über ein jahr. Manchmal wurden die versuche ambulant durchgeführt, manchmal stationär. Um in eine studie aufgenommen zu werden, mußte man ein casting durchlaufen. es wurde blut abgezapft und urinproben genommen, manchmal die lungenfunktion gechecked und immer gabs ein EKG. Wenn man für tauglich befunden wurde, kam man in eine gruppe von 4-6 probanden in einem zimmer. meist wurde nach dem ersten tag auf station noch ein proband ausgesondert und nachhause geschickt.
Das führte dazu, dass man zu beginn einer versuchsreihe die anderen probanden automatisch als gegner betrachtete, die einen wegbeissen wollten. jeder von uns brauchte das geld und so biss jeder jeden.

Ich will einmal eine studie beschreiben, die um das jahr 2000 stattfand.
wir wurden als Versuchstiere" für ein neues medikament gegen diabetes "verwendet". [in der einführungsveranstaltung, die von einem ukrainischen arzt auf englisch geführt wurde, hieß es, bei der ersterprobung an tieren seien zwei hunde "verbraucht" worden. als ich mich unter den anwesenden probanden umschaute, war zu erkennen, dass die meisten der anwesenden gar nicht verstanden, was "der da vorne" gesagt hatte.] (bei einer anderen studie, die probanden waren alle über 65, unterschrieb für einen teilnehmer dessen ehefrau, weil der typ schon dement war.)

Wir lagen eine woche auf station. die nächte waren der horror, alle schnarchten, keiner glaubte, dass er schnarchte; wir lagen alle wach. Zu beginn wurde uns ein medikament gespritzt. den einen in den oberarm, den anderen in den oberschenkel, mir unter die bauchdecke. Es sollte erprobt werden, ob das medikament geeignet war, über eine woche tag für tag eine geringe dosis insulin abzugeben.

Wir hatten alle fest installierte kanülen im arm ((einer der ärztze, die die kanülen legten hieß nur "der Mezger", weil er völlig emotionslos und grob, die kanüle in unsere venen rammte.)) alle vier studen blutdruck messen und blut entnehmen- auch nachts. um sechs war wecken mit urinabgabe und gewichtskontrolle. danach in den frühstücksraum. jeder proband bekam sein genau auf ihn abgestimmtes mahl.
vor dem wecken schlich ich mich unter die dusche. es gab nur zwei duschkabinen und meist gedränge
und morgens war ich fast immer allein dort.
Im frühstückszimmer saßen auch probanden aus anderen studien. neben uns, die "Nasenbären", die hatten fest installierte schläuche in der nase (künstliche ernährung oder was?)
bei einer studie nannten sie uns die "Pippischlepper" weil wir immer mit 10liter-kanistern herumliefen, in denen sich unser urin befand.

dann also zurück in die bude, lesen, wenns ging. meistens plärrte der fernseher, schon morgens um sechs, immer irgendwelche schmuddelsender wie RTL oder Sat1 mit geschichten von irgendwelchen familien, alle am rande das wahnsinns. Kommentar von KLAUS, dem probanden aus dem nachbarbett: "Ja bin ich denn blöde? - JA SIND DENN ALLE BLÖDE?"
Genau das wars, alle waren blöde: wenn man es selbst noch nicht war, wurde man es spätestens am dritten tag. meine Lektüre hatte ich vorsorglich in packpapier eingebunden, um mich nicht gleich zu outen (Sloterdijk, Lacan). zwischendurch wenn möglich den schlaf nachholen, den wir uns nachts gegenseitig geraubt hatten. Dann blutentnahme, blutdruckmessen, der Apparat (Computer) zeigte manchmal einen zu hohen wert (der für die studie nicht "passte",) dann hieß es "nun strengen sie sich mal an" und wir taten unser bestes einen guten eindruck, sprich einen normalen blutdruck vorzuweisen. das gerät war angeblich unbestechlich und sollte genau unseren blutdruck speichern; die schwestern kannten jedoch eine methode, unerwünschte ergebnisse im Rechner zu stornieren.

Jeder proband hatte eine mappe, die am fußende des bettes lag und alle unsere "Werte" enthielt. die schwestern gaben keine auskunft über unser befinden, deshalb sprang ich, sobald die schwester aus dem zimmer war, aus dem bett und schaute meine tabelle an.

bei einem probanden schwollen die glieder an, sah aus wie Elephantiasis. Er wurde nebenan in die Klinik gebracht. wir sahen ihn nicht mehr.
Nachmittags schlafen, lesen, fernsehen; manchmal mit einem nachbarn im gang vor dem zimmer sitzen und sich unterhalten.
Einer auf unserer bude war Jäger. er hatte immer einen puls um die 60. (damit ich besser schießen kann!) Er lag den ganzen tag im bett und blätterte stets in dem gleichen magazin in dem jagdwaffen angeboten wurden.

dann abendessen, ab 20uhr fernseher aus, großes licht aus; wir hatten nachttischlämpchen und lasen noch ein wenig. dann schlief man bis man vom schnarchen eines kollegen geweckt wurde oder geweckt wurde, weil man selbst geschnarcht hatte.

Bei einer anderen studie musste ich sonntagabend zur blutentnahme antanzen, vorher war ich 10 stunden auf dem markt gewesen, es war winter, meine venen waren "eingefroren" und ich musste meine arme erstmal zehn minuten in heißes wasser legen, bis der arzt eine vene fand. Ein andermal lag ich allein in einem gebäude in dem sonst niemend war außer der schwester: sie hatte mich jedoch vergessen und ich lag vschon völlig verkabelt auf der liege und versuchte ruhe zu bewahren, irgendwann platzte mir dann doch der kragen und ich schrie wie am spieß; BLUTDRUCK!!! Endlich tauchte die schwester auf. mein blutdruck aber war ruiniert. 165!

Als Proband hast du jede Menge Zeit zum nachdenken. zum beispiel darüber, ob du gerade einen affen rettest [Bruder Affe] weil du an seiner statt versuchstier bist. ob wir tierversuche durchführen, weil wir selbst zu feige sind?
Oder, dass die probanden nicht wirklich "freiwillig" hier sind, weil sie nämlich das geld brauchen (auf den Pharmastrich gehen).

Der eine Proband war ein armer Pole. er wollte unbedingt an der studie teilnehmen, weil er natürlich das geld brauchte. er versuchte immer, mich kurz vor dem arztbesuch aufzuregen, damit meine werte nicht mehr stimmten und ich aus der studie fallen sollte (einer muß gehen!): ich schaffte es, ruhig zu bleiben. ER flog raus. Oder wars umgekehrt?

später, als ich wieder draußen war, fragte ich mich, warum ich hier gewesen war. zuerst dachte ich: um den feind auszuspionieren. aber natürlich auch wegen des geldes. um den "bruder affe" einen weiteren versuch zu ersparen?
Ich weiß die antwort immer noch nicht. vieles von dem, das ich anfangs für richtig hielt, ist nun vielleicht doch nicht so recht: das koordinatensystem hat sich verschoben. ich denke über manche dinge nun anders. und: ich merke, daß ich wieder "rein" will: es ist eine sucht!